Mittwoch, September 19, 2007

konzert: joanna newsom, 18.09.07

musik körperlich erleben. das ist weit mehr, als das eindringen von klängen in das sinnesorgan ohr und das versetzen des trommelfells durch dieserart schallwellen in schwingungen. das ist weit mehr als die übertragung von vibrationen auf gehörknöchelchen. das ist mehr als die verarbeitung physikalischer reize durch das gehirn in informationen. es kann mehr sein. manchmal genügt ein gemeiner kognitiver prozess zur erfassung. anderenfalls ist es möglich, gefühlswelten zu eröffnen und gleichzeitig physisch weitaus stärker beansprucht zu sein. dann nämlich, wenn wahrnehmung und emotion ein paar bilden, das nicht voneinander lassen möchte. nun strafft sich die stirn, zwingt sich haut über den schädelbalken rückwärts, das synapsengewitter eröffnet ein tausendfaches kribbeln, das, vom kopf bis zu den zehen spürbar, erregung auslöst und der entladung entgegenfiebert.
die schlange vor der kasse der muffathalle war nicht sehr lang, es ging außerdem flott vorwärts. ein kartenbesitzer fragte abseits, ob ihm jemand zwei seiner drei tickets abnehmen würde. zwei junge männer fanden sich. da es sich um karten für die vordersten reihen handelte, war der preis gesalzen. darauf fragten die zwei nach, wieviel der verkäufer denn bezahlt hätte. er gab den regulären preis an und verdrehte die augen. nun wies einer der beiden vermeintlichen käufer darauf hin, dass er student sei und ihm damit eine der karten zum günstigeren tarif zustünde. nun war es an mir! ich rettete sowohl den verkäufer als auch den jämmerlichen studenten vor gröberem und nahm die zwei karten. wir saßen exzellent. der blick war frei, denn vor allem im vorderen bereich waren einige leere stühle, so dass das konzert nur als mäßig verkauft bezeichnet werden kann. ein jammer.

denn als joanna newsom die bühne betrat, war es um mich geschehen. das anmutig kindhafte, die freude und das strahlen, das sie sendete, gaben mir eine heimstatt. ein verharren war die folge, aus dem ich erst knapp 70 minuten später wieder erwachen sollte. das vielfach zitierte besondere an newsom will ich nicht widerkäuen, aber meine überraschung ob der spielfreude und des enthusiasmus, den die junge dame an den tag legte, zum ausdruck bringen. lächelnd und offen und ohne jede scheu, aber bar königlicher haltung stellte sie ihre bandkollgen vor und gab das spiel frei. wie ihre hände über die harfe fegten, sie streichelten, betasteten, stillten und wieder neuerlich magisch bewegten. wie ihre stimme orte erreichte, von denen wir nichts wissen, wie sie kiekste und jubilierte und endete, wo wir dank ihrer einen kurzen augenblick sein durften. wie sie beschrieb, mäanderte, sich verstiegt und dennoch gestärkt zurückkehrte, wie sie ertrug, erschuf und teilhaben ließ, unglaubliche schönheit, verstörtheit. ich erwartete den moment, da ihre finger blut auf den saiten ihres instruments hinterließen, da sich schmerz in ihr antlitz mischte und sie von der harfen lassen müsste. da sie ihr freund tröstend in den arm nehmen und von der bühne führen müsste. nein, immer wieder neu nahm joanna newsom anlauf, um die lieder voran zu treiben, im schwung der sprache und all ihrer melodiösen vertracktheit neu musik zu erschaffen. keine irritationen trotz der verwebungen, keine fallen trotz der unwägbarkeiten, kein stolz trotz der hohen lagen. sie befindet sich an der grenze zum diesseits und öffnet zu mancher stunde die tür, um einen blick in ihre welt zu gewähren. das ende. nur eine zugabe. entlassen in eine andere welt. fern jeglicher prosaischer schönheit. aufgelöst. entlösen von muskulärer deformierung. schmerzen. das seelische treibgut, die körperliche entgleisung. ein zustand, der nicht von dauer sein kann, den man sich aber nicht sehnlicher wünschen kann. die einsetzende musik vom band, das einschalten von licht setzen überzeugend dazu an, dass man an einen übergang zurück in die vergessene welt glauben muss. etwas euphorisiert: das klienicum am rand der stadt. eine randnotiz waren bei all dem the moore brothers, die den abend mit schönen harmoniegesängen und gitarrenbegleitung begannen. setlist joanna newsom: bridges and balloons, emily, monkey and bear, the book of right-on, sawdust and diamonds, inflammatory writ, peach plum pear, colleen, ca' the yowes to the knowes, clam crab cockle cowrie, sadie (zugabe)

2 Kommentare:

Oliver Peel hat gesagt…

Welch famoser Konzertbericht! Besser kann man das nicht beschrieben. Auch ich war damals in Paris völlig verzaubert, wie die Finger von Joanna durch die Saiten glitten ist unvergessen. Die Frau muß in den Zaubertrunk gefallen sein, anders ist dieses immense Talent nicht zu erklären!

Beim Schreiben dieser Zeilen und beim Lesen Deines Berichts habe ich schon wieder Tränen der Rührung in den Augen, danke, daß Du mir den Abend noch einmal in Erinnerung gerufen hast, Eike!

E. hat gesagt…

bei "emily" musste ich bereits mit meiner rührung und ergriffenheit kämpfen. es war wirklich etwas besonderes!