Montag, Mai 04, 2009

konzert: scott matthew, 02.05.09, teil 2

das 59:1 war gut gefüllt. die wände mit musikexpress-plakaten und -bannern unaufdringlich gepflastert, ein paar aktuelle hefte lagen aus. der blick hinein eröffnete mir, dass ich seit ewigkeiten keines dieser journale mehr in der hand hatte und barg die überraschung ob eines sehr überzeugenden layouts. ansonsten bot der veranstalter angenehme zurückhaltung. lediglich die empfangsdame wies auf ihre herkunft hin, nachdem sie meinen namen nicht auf der gästeliste fand, mir aber einen unpeinlichen durchgang - nach zahlung der zeche selbstverständlich - ermöglichte. drinnen gab es im halbdunkeln ein helles und gute zweite stunden zusätzlicher wartezeit. scott durchmaß immer wieder das rund, frisch bewaffnet mit einem neuen glas wein und machte einen überaus zufriedenen eindruck. für die etablierten clubgäste wohl ein gewöhnlicher zustand, brannten mir bald die sohlen vom öden stehen und warten. unsere unterhaltung entbrannte sich aber immer wieder am launigen auditorium, das sowohl stirnbereifte mädchen als auch schmerbäuchige ältere herren aufzuweisen hatte, und brachte uns damit über die runden. auch bierrunden. das pils war ok, das helle hülle ich in schweigen.
gegen mitternacht war es endlich so weit, scott matthew, marisol limon martinez (keyboard) und m. eugene lemcio betraten die bühne. die begrüßung scotts war warmherzig und zugewandt. die frühe begeisterung, die ihm entgegenschlug, nahm er dankbar entgegen. auch im verlaufe des konzertes hatte man öfter den eindruck, dass er sehr von den liebesbekundungen seiner fans zehrte. vorerst gab er aber zurück, indem er dem musikexpress dankte für das album des monats und die einladung im 59:1 aufspielen zu dürfen. er betonte, dass die darbietung insofern eine besonderheit wäre, als dass die songs des neuen albums noch keinem publikum haben standhalten müssen. eine premiere. ein verlegenes lächeln, das auch die koketterie verzeiht, und los gings. "dog" eröffnete den 12 songs umfassenden reigen, der sich vornehmlich aus "there is an ocean that divides..." speiste. matthew entglitt unvermittelt in eine angespannte, hoch konzentrierte haltung, die dem gegenüber einen platz zuweist. obacht! aufgepasst! hier zerreisst sich jemand, hier zieht sich einer die haut über die ohren. manchmal glaubte ich solche gerichteten bewegungen beobachtet zu haben. "dog" ist einer der midtempo songs auf dem neuen album und als einstieg in das konzert gut geeignet. so ist gewöhnung möglich. an den flinken bass lemcios, das konzentrierte, absolut songdienliche spiel martinez' auf dem roland. und doch liegt alle konzentration auf scott (siehe fotos) und seinem gesang, auf seinem schmerz, seinem ausdruck, seiner frage: "what's my name?". die gitarre wirkt wie eine gliedmaße, sie ist körperteil und nutzbares instrument zugleich. den schwung aus einer gelungenen ersten performance und dem donnernden applaus nimmt die crew mit ins erfrischende "community". fast ein schunkeln geht durch die reihen. und scott quittiert es mit genuss. seine leidenschaft ist so immens, so ausdrucksstark, so mutig, und gleichzeitig ist sie ohne argwohn und ohne doppelten boden. ein überlassen im verzicht auf sicherheit. das publikum ist ebenso offenherzig und beklatscht die hingabe. als "every sweet hello there's a bitter good bye" von "every traveled road" ertönt, ist es spätestens um mich geschehen und ich lasse mich in den matthewschen sog fallen. während martinez den klangteppich flächig bereitet und lemcio flott differenziert, arbeitet der frontmann am perfekten ausdruck. sein verzagen und das in-sich-winden, die rotunden auf dem hocker, die macht seiner worte. eine kraft pulsiert, an der man sich laben kann. mit dem refrain des nachfolgenden "for dick" geschehen für mich immer wieder - und live umso mehr - wundersame dinge. eine wärme, die sich ausbreitet, ein innerlicher verhalt und ein gleichzeitiges juveniles imstande fühle. wahnsinn! und scott sitzt mir dabei keinen meter entfernt gegenüber.

das konzert hat viele sympathische momente. scott, der mit den anwesenden scherzt, der sich verspielt und herrlich darüber lachen kann, der die beiden mitmusiker nach gelungenem (weiter-) spiel abklatscht.
"thistle" kommt genauso euphorisch wie auf tonträger (scott gibt allerdings vor, man solle nicht so auf den text achten), "little bird" wird der erste ausflug zum debutalbum und berauscht durch seine uneinnehmbare brillanz, "ornament" befriedet schließlich samt ukulele und gemeinsames "lala lala, lalaa lala". "there is an ocean "pirscht sich heran. getragen der einstieg via keyboard. scott setzt ein. er formt wort für wort, als gelte es jedem seine bedeutung neuerlich einzuverleiben. leider verzichtet die darbietung auf das geflüsterte gedicht. dies tat einem gelungenen vortrag keinen abbruch. "german" (die helle stimme, neben dem schweren piano, dazu eine flagellante gitarre), "white horse" (das sehnen!), "wolverine" (scott inmitten eines klangkörpers), allesamt nah am vom album bekannten muster. erstaunlich wie "lebensecht" es den dreien gelang, so nah am original zu spielen. als abschluss ertönt wie auf dem album "friends and foes".
scott und co. lassen sich nicht lange bitten, um eine zugabe zu leisten. wenn er ein star wäre und die ganze welt bereisen würde, um seine lieder zu singen und er zudem einen hit hätte, dann wäre es dieser, leitet der new yorker "abandoned" ein. der schweiß rinnt dem sänger in bächen von der stirn, das haar klitschnass klebt, die hände suchen halt auf den angewinkelten beinen.
überraschend das ende: "i won't share you " von the smiths und ein weiteres cover mit "harvest moon" von neil young, getragen, verstiegen und heimgeholt.
ein irre schönes konzert mit einem aufgeräumten künstler nebst kongenialer begleiter fand ein fulminantes ende (wer hat scott schon mit einer mundharmonika agieren sehen?!). undisziplinierte clubgäste lasse ich heute außer acht. die nähe zum geschehen sorgte für ein positives erleben.

5 Kommentare:

Oliver Peel hat gesagt…

Hier muss ich sofort mal einhaken, bevor ich mich zur Musikalie auslasse:

In Frankreich ist es mir auch schon dreimal passiert, daß man mich nicht wie erwartet auf der Gästeliste gefunden hat. Jedesmal wurde ich von den netten Leuten am Empfang (und das war jeweils in unterschiedlichen Locations) gratis durchgelassen. Man hat mich einfach kurzerhand auf die Liste hinzugesetzt. Man glaubt den Gästen einfach, wenn sie sagen, daß sie eine Einladung haben. In meinem Fall stimmte das auch jeweils, da hatten nur die zuständigen Personen etwas geschludert.

Das liebe ich in Frankreich, man ist da völlig unkompliziert und vorbildlich solidarisch. in meiner Anfangszeit in Paris haben mir oft wildfremde Leute spontan ihre zweite Einladung zugeschustert. Niemand wird ausgeschlossen, so soll es sein! Ich könnte noch viele Beispiele nennen, daß z.B. bei dem eigentlich ausverkauften Konzert der Young Marble Giants alle Wartenden von der Organisatorin mit Gratistickets (gut, es ging ohnehin nur nach Listenplätzen) versorgt wurden, daß jeder das Konzert genießen konnte. Oder daß mich ein offizieller Ordner beim Tennisturnier in Roland Garros mittels seiner persönlichen Karte auf den Center Court eingeschleust hat, weil ich nur Ticktes für einen anderen Platz hatte.

Gelebte Solidarität, gelebte Nächstenliebe. Wir Deutschen können vielvon den Franzosen lernen!

E. hat gesagt…

siehst du, und ich bin allein schon dankbar, dass mir die dame keine szene gemacht hat. alles schon erlebt. 'servicewüste deutschland'! und 'n heiermann ins phrasenschwein.

Oliver Peel hat gesagt…

"Im Zweifel hat der Kunde immer recht", dieser Satz gilt wohl leider nicht. Wobei sich mein Kommentar ja nicht nur auf das Verhältnis Anbieter/Kunde, sondern auf die Hilfsbereitschaft unter den Mitbürgern (schrecklicher Ausdruck eigentlich!) bezog.

So habe ich meinen Freund Patrice kennengelernt: Biffy Clyro in der Maroquinerie ist ausverkauft, die Frau am Kassenhäuschen kann mir nicht weiterhelfen. "Brauchst Du eine Einladung?", raunt mir ein junger Mann von der Seite zu und steckt mir das Kärtchen in meine Brusttasche, ohne dafür einen Dank zu erwarten. Erst Monate später haben wir uns richtig kennengelernt...

Aber natürlich gibt es in Deutschland auch viele dufte Leute, meinen Kommentar also bitte nicht als "German Bashing" verstehen. Wollte nur das vorbildliche Verhalten der Franzosen in diesem Punkte loben.

So und der nächste Kommentar gilt Scott. Lass mir damit bitte ein wenig Zeit...

Oliver Peel hat gesagt…

Wunderbarer Bericht, der gut die Persönlichkeit des Künstlers, seine Hingabe beschreibt. Auch die Fotos belegen das Erzählte vorzüglich. "Hier zeiht sich einer die Haut über die Ohren", sehr plakativ geschildert!

E. hat gesagt…

danke, oliver!